Opfer auf der Anklagebank

Das Kollektiv Bühne für Menschenrechte verarbeitet dokumentarisch im spartanischen Kammerspiel >>Die NSU Monologe<< auf eindrucksvoll und einfühlsame Weise drei Morde des NSU.

Häufig reicht eine wortgetreue Wahrheit, um ein Drama zu erzählen. Der Fall des NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) ist ein Beispiel par excellence für dramatische Realität und für Deutschland. Noch immer befindet sich der NSU mit der Hauptangeklagten Beate Zschäpe und den Nebenangeklagten Ralf Wohlleben, André Eminger, Holger Gerlach, Carsten S. im Prozess. Ihre Mitstreiter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt haben 2011 nach einem Raubüberfall Suizid begangen. Ob Tote verklagt werden können, wird der Prozess, der sich nun nach fast 6 Jahren in der Endphase befindet, zeigen. Der NSU, eine neonazistische Terrorzelle, konnte mit der Unterstützung des deutschen Staates ungestört und unentdeckt 10 Morde und etliche Strafdelikte begehen. Erst nach dem Mord an der jungen deutschen Polizistin Michèle Kiesewetter, der als Polizeimord von Heilbronn bekannt wurde, kamen die Ermittlungen an den NSU, beziehungsweise einer neonazistische Terrorzelle ins Rollen. Woraufhin staatliche Mittäter des Verfassungsschutzes, der Polizei und anderer staatlicher Organe mit ihrer Vorliebe zum Nationalsozialismus anfingen im großzügigen Stil die Ermittlungen zu blockieren, in dem sie unter anderem Akten schredderten und Beweismaterial verschwinden ließen. Dass das Herz des deutschen Staats weiterhin für Rechtsextremismus schlägt, lässt sich derzeit an Enthüllungen von weiteren Vorfällen von rechter Gewalt in staatlichen Organen und im unverhältnismäßig starken Vorgehen gegen Linke erkennen. Vor der Enttarnung der Rechtsextremisten im NSU, wurden die Opfer als Mörder ihrer Angehörigen beschuldigt, was das Kollektiv Bühne für Menschenrechte mit ihrem Stück >>Die NSU Monologe<< besonders gut, durch ihr gesammeltes dokumentarisches Material, wie Interviews mit den Opfern, Protokolle oder Reden hervorbringt. Das wortgetreue Theater der Gruppe ermöglicht über vier Schauspieler*innen intime Einblicke in dem Kampf um die Aufklärung der NSU-Morde von Enver Şimşek, Mehmet Kubaşik und Halit Yozgat. Dabei erwähnt Adile Şimşek immer wieder, dass die Bundeskanzlerin Angela Merkel versprochen hat, dass die Morde aufgeklärt werden. Dieses Versprechen ist nun Jahre her und verläuft leider ins Leere, unter anderem weil der NSU Bericht 120 Jahre unter Verschluss bleiben soll. Dem deutschen Staat interessiert eine Aufklärung der Morde nicht; vermutlich weil er sich dadurch selbst belasten würde. Wo bleibt da ein Gefühl von Entschädigung an die Betroffenen? Sicherlich nicht in der versprochenen Summe von 900 000 Euro.

Mit dem Schauspiel >>Die NSU Monologe<< ermöglicht die Bühne für Menschenrechte (Léo Jeismann, Wiebke Dreyer, Flo Seuffert, Zoe Branczyk, Serpil Erdik, Thu Hoài Tran) dem Opfern eine Plattform, um den Schmerz den sie auch durch die deutsche Justiz erfahren haben, Ausdruck zu verleihen. Das Kollektiv verwendet dafür ausschließlich Dokumente ohne die Sprache oder den Ausdruck zu verfremden. Es arbeitet wortgetreu. Der gesprochene Text wird in Spannungsmomenten von einem Piano und einem Cello untermalt, was manche Monologe besonders gut hervorbringt und die Realität in ein grausames Licht rückt. Wie beispielsweise, dass die Opfer in einer ihrer schrecklichsten Momente in ihrem Leben von der deutschen Justiz verpönt wurden. Stundenlange Befragungen, Hausdurchsuchungen, unangebrachte Fragen über das Sexleben der Betroffenen und immer wieder der Vorwurf, dass der Ermordete in irgendwelchen Strafdelikte verwickelt gewesen sei, trieben die Opfer in die Isolation und ließen sie zu Unrecht Spott und Missachtung von ihrem Umfeld ernten. Dabei wollten die Betroffenen mehr als der deutsche Staat die Wahrheit über den Mord an ihren Angehörigen herausfinden. Das Sprechen im Gerichtsaal empfinden sie als eine Art von Befreiung, weil sie endlich über ihren strukturell erfahrenen Rassismus berichten können. Auch wenn deutscher Staat und Justiz in jeglicher Form versagt haben und weiterhin Rassismus mit System betreiben, ist es umso schöner zu sehen, dass die Bühne für Menschenrechte allein über gesprochenes Wort und geringen Musikeinsatz ein dramatisches Schauspiel im Abbild der Realität schafft. Und den Opfern über den Mitteln der Theatralik eine Art von Entschädigung bieten kann.

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DIE NSU MONOLOGE | Heimathafen Neukölln| 7.9 – 10.9.2017 und 31.10. – 4.11.2017 jeweils um 19.30h mit anschließenden Publikumsgespräch| Karten unter: 030-56 82 13 33 oder karten@heimathafen-neukoelln.de

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