EPIK HOTEL – COUCHSURFING IM AUSNAHMEZUSTAND

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Wer Freiheit für Sicherheit aufgibt, wird am Ende beides verlieren.“ (Benjamin Franklin) – unter dem Spannungsverhältnis Freiheit und Sicherheit läuft das derzeitige Spielzeitmotto „man trifft sich“ im Schlosstheater Moers. Dafür hat das Schlosstheater die junge elsässische Regisseurin Catherine Umbdenstock, die an der Ernst Busch studiert hat und momentan Hausregisseurin am „Theatre de la Commune von Aubervillers“ in Paris ist, in die Moerser Kappelle eingeladen, um Falk Richters „Im Ausnahmezustand“ zu inszenieren. Die Düsseldorfer Stattzeitung Terz hat sich nach einem Probenbesuch mit der deutsch-französischen Regisseurin zu einem netten Plausch getroffen.

Terz: Hallo Catherine, Du bist momentan Gastregisseurin im Schlosstheater Moers und inszenierst hier das Stück „Im Ausnahmezustand“ von Falk Richter. Worum geht es in diesem Stück?

Catherine Umdenstock: Deine Frage finde ich ganz schön, weil es „im Ausnahmezustand“ ein Replik gibt: „Worum geht es in dem Stück?“, das fragt der Mann seine Frau, die in einer Laientheaterspielgruppe spielt. Und die Frau antwortet: „es geht um eine Frau, die die Wahrheit sagt und die immer Recht hat.“ Für mich ist es eine Frage der Perspektive, wenn ich für den Mann antworten würde, würde ich anders als für die Frau oder für den Jungen antworten. Durch diese Figurenkonstellation lässt sich schon erkennen, dass es sich um eine Familie handelt. Es ist eine Familie, die in einer „Gated Community“ wohnt und die nach permanenter Sicherheit sucht und sich diese bis zum äußersten wünscht. Die äußerlich gegebene Sicherheit lässt aber dafür die innere Sicherheit der Familie bröckeln, sodass die Beziehungen zwischen den Mann und seiner Frau, sowie zwischen den Eltern und ihrem Sohn immer wieder infrage gestellt werden, beziehungsweise sich immer wieder erneut beweisen müssen. Schlichtweg gesagt, handelt das Stück von Familie und Liebe. Der Autor Falk Richter thematisiert immer wieder in seinen Werken Beziehungsproblematiken, in denen Mensch, moderne Welt und Beziehung in Konflikt stehen. Auch Zugehörigkeit und die Frage „wie soll mein Partner sein?“ sind große Anliegen des Autors. „Im Ausnahmezustand“ liegt der Fokus auf der Familie und ihr Sicherheitsstreben.

Terz: Und was interessiert Dich besonders an diesem zeitgenössischen Drama?

Catherine: „Im Ausnahmezustand“ hat einen sehr psychologischen Charakter, bietet einen außergewöhnlichen Raum für Sci-Fiction, wie die „Gated Community“ und öffnet damit eine weitere Ebene. Man befindet sich somit nicht nur, wie bei Tschechow in einer sehr psychologischen Beziehung mit dem Menschen, sondern es stellen sich auch Fragen, was ist dieses Draußen? Was bedeuten die Überwachungskameras? Was beschreibt die Firma? Diese Fragen stellen eine Herausforderung dar, weil man gucken muss, wie man mit den Sci-Fiction Elementen umgeht.

Terz: Mir ist bei den Proben aufgefallen, dass Du viel mit diesen Ebenen spielst?

Catherine: Ganz genau. Nur Psychologie, kann ich glaube ich nicht (lacht); weil ich ein Theatermensch bin und ich gerne viele verschiedene Elemente und Momente in meinen Inszenierungen mit einbringe. Ich breche auch gerne die Wand zwischen den Zuschauern und den Schauspielern auf. Das versuche ich auch gerade mit den Schauspieler*innen „Im Ausnahmezustand“. Das Stück hat drei starke Figuren, die sich in einer Not befinden, auch in einer psychologischen und ich versuche immer wieder Momente zu finden, in denen das Publikum in die Probleme oder ins Familiendrama mit einbezogen werden kann, sodass die Zuschauer keine passive Zuschauer sind.

Terz: Ich finde, dass Du dabei eine sehr psychologische Herangehensweise pflegst und dadurch versuchst einen umfassenden Blick vom Charakter der Figur zu bekommen, dafür arbeitest Du auch sehr viel mit den Improvisationen der Schauspieler*innen. Diese Spielweise erinnert mich an Falk Richter. Versuchst Du seine Spielweise in die Inszenierung mit einfließen zu lassen, um einen hohen Grad an Authentizität zu erzielen? Oder aus welchen Einflüssen setzt sich Deine Spielweise zusammen, beziehungsweise wie würdest Du Deine Vorgehensweise beschreiben?

Catherine: Ich glaube, dass ich noch nicht den Punkt erlangt habe, wo ich sagen kann, dass ich eine bestimmte Spielweise habe, dafür muss ich mich noch mehr ausprobieren. Was ich aber sehr wichtig finde ist, dass jeder Text eine andere Spielvorlage bietet. Beispielsweise verlangt Molière eine andere Spielweise als Richter. Aber ich würde auch nicht sagen, dass ich total autorengetreu inszeniere. Es ist wichtig den Text zu verstehen, also das Kernthema, worum handelt es? Und dann stellt sich schon unmittelbar, die Frage, nach dem WIE, die für die praktische Umsetzung verantwortlich ist. Deshalb glaube ich, dass jeder Text seine eigene Spielweise hat. Und für Falk Richter spielen das Psychologische und das Authentische tatsächlich eine wichtige Rolle. Was mich aber von ihm unterscheidet, ist, dass er die Figuren nicht wirklich baut, sondern es eher Textflächen sind. Beispielsweise heißen die Figuren meist, wie die Schauspieler und bei seinen Inszenierungen, die ich gesehen habe, verschmelzen Performer und Schauspieler und werden somit zu einer Figur. Und das ist eine Richtung, die mich momentan weniger interessiert, weil ich gerne mit den Schauspielern zusammen Figuren entwickeln möchte. Ich denke, dass ist auch der Reiz, warum man Schauspieler wird, weil man einmal einen König und einmal einen Bettler spielen kann und nicht unbedingt sich selbst. Deswegen lasse ich die Schauspieler in den Proben viel improvisieren, damit sie sich besser in die Figuren hinein leben können, in dem sie sich mit der Figur auseinandersetzen und somit selber eine Figur schaffen, die ihnen verwandt ist.

Terz: In dieser Inszenierung arbeitest Du wieder mit der Bühnen- und Kostümbildnerin Elisabeth Weiss zusammen. Neben eurer engen Zusammenarbeit, die schon seit mehreren Jahren besteht, verbindet euch noch „Epik Hotel“. Vielleicht könntest Du mir etwas über eure Zusammenarbeit erzählen. Und natürlich bin ich ganz neugierig, was „Epik Hotel“ ist.

Catherine: Unsere erste Zusammenarbeit war das studentisches Projekt „Geschichten aus dem Wiener Wald“, welches ich in Frankreich, also in Elsass, wo ich herkomme, inszeniert habe. Elisabeth kam direkt mit einem Bühnenkonzept, das man ganz praktisch umsetzen konnte, was für mich sehr wichtig ist, weil man in Frankreich sehr viel tourt und alles selber schaffen muss. Mit ihr kann ich über ein Stück reden, ein Bühnenkonzept entwerfen und ganz konkret umsetzen. Die Umsetzung von Theorie in Praxis, ist immer meine größte Sorge, weil man viel über Theoretisches sprechen kann, aber es immer auf die konkrete Praxis ankommt. Etwas später hatten wir noch ein größeres Projekt „Don Juan“, wo wir uns näher kennengelernt haben und daraus hat sich unsere Partnerschaft entwickelt. Elisabeth schafft es immer aufs Neue mich mit einem anderen Imaginationsfeld zu überraschen. Nach meinem Diplom habe ich mir schließlich die Frage gestellt, warte ich auf eine Antwort vom Stadttheater, um eine Inszenierung zu machen oder inszeniere ich. Zu der Zeit hatte ich Elisabeth und eine tolle französische Schauspielklasse, die ich während meines Auslandssemesters in Ècole Supérieure dÀrt Dramatique du Théâtre National de Strasbourg kennengelernt habe. Ich habe mich so gut mit dem Jahrgang verstanden, dass wir uns versprochen hatten, etwas gemeinsam zu produzieren. Schließlich haben wir zusammen den deutschen Text von Peter Licht „Der Geizige“, der sich von Molière hat inspirieren lassen, inszeniert. Dafür haben wir den Text ins Französische übersetzt, was in Frankreich für Aufsehen gesorgt hat, weil die Franzosen an textgetreuen Stücken gewöhnt sind, aber wir haben alle erreicht. Die konservativen Leute waren etwas überrascht, weil sie erwartet hatten Molière zu sehen (lacht).

Terz: Und das war der Punkt an dem ihr die Compagnie „Epik Hotel“ gegründet habt?

Catherine: Ganz genau. Ich bin die künstlerische Leiterin der Compagnie und fühle mich als Regisseurin, sozusagen als Leaderin der Truppe, die aber ohne die Mitarbeiter nicht klarkommen würde. Ich arbeite aber nicht ausschließlich mit diesen oder jenen Schauspieler zusammen, sondern ich fühle mich frei einen Pool von Künstlern einzuladen. Bei unseren momentanen Projekt „Radio Paradise“ nach R. W. Fassbinder haben wir zwei ältere Schauspieler mit dazu genommen, die nicht in dem „Geizigen“ mitgespielt haben. Ich bezeichne „Epik Hotel“ auch eher als Ensemble. Also eine Leitung, die einen festen Kern von Künstlern besitzt, aber immer noch Gäste dazu holt. Und für mich fällt auch die Arbeit hier in Moers unter dem Ensemble „Epik Hotel“, weil ich hier mit Elisabeth und der Schauspielerin Maresa Lühle zusammenarbeite. Maresa habe ich für die Inszenierung „Im Ausnahmezustand“ mit nach Moers geholt. Wir haben uns in Wuppertal kennengelernt. Ich arbeite meist mit Menschen mit denen ich eine besondere Verbindung herstellen will und mit denen ich auch in Zukunft weiter zusammen zu arbeiten möchte.

Terz: „Epik Hotel“ hat jetzt schon mehrere Inszenierungen hinter sich, wie „Der Geizige“, „Don Juan“ und nun bald Falk Richters „Im Ausnahmezustand“. Verfolgt das Ensemble „Epik Hotel“ eine bestimmte Richtung beziehungsweise habt ihr ein bestimmtes Interessengebiet mit dem ihr euch immer wieder auseinandersetzt?

Catherine: Ja, auf jeden Fall. Erst einmal ist die Beziehung zwischen Deutschland und Frankreich ein wichtiges Thema, weil die Deutsch-französische Beziehung in meiner Heimat Elsass immer noch umstritten ist. Es werden noch immer viele Klischees an Generationen weitergegeben. Als ich meiner Großmutter, die den zweiten Weltkrieg mitbekommen hat, von meinem Umzug nach Berlin erzählt habe, meinte sie: „Pass gut auf Dich auf!“. Ich fühle mich zu beiden Ländern hingezogen, weswegen ich abwechselnd in Frankreich und Deutschland inszeniere. Dann sind mir die Klassiker und die sozialen Dramen wichtig. Ich finde, dass in den Klassikern, vor allem in Molière noch ganz viel Leben drin steckt und dort meist das Politische unter der Maske der Komödie auftritt. Politik mit Unterhaltung verkoppeln, das ist mein Ding! Den sozialen Dramen fühle ich mich verbunden, weil die Autoren – vor allem mag ich sehr die bayrischen Autoren, wie Fassbinder und Achtenbusch – von einer sehr provinziellen und eng denkenden Gesellschaft kommen. Ich bin auch auf dem Dorf aufgewachsen und mit der Beschäftigung der Autoren fällt es mir leichter über Erlebtes zu sprechen, wie sehr man sich die Freiheit gewünscht hat und Theater ein Ausweg sein kann. Unser Ensemble „Epik Hotel“ besetzt auch häufig die männlichen Rollen mit Frauen. Ein Problem bei den Klassikern ist, dass sie meist von Männern geschrieben wurden und dadurch die Hauptrollen häufig männlich sind. Das Problem der männlichen Dominanz im Theater kann man auch sehr gut im deutschen Ensemble sehen, weil hier viel mehr Schauspieler ausgebildet werden als Schauspielerinnen, auch an der Ernst Busch ist dies so. Das liegt hauptsächlich daran, dass keine Rollen für Frauen da sein. Das kann ich als Regisseurin natürlich nicht unterstützen (lacht). Es ist ganz wichtig, dass man einen anderen Blick auf die Klassiker bekommt und dadurch einen anderen Blick auf die Frau. Natürlich kann eine Frau heute eine Revolutionärin spielen, warum nicht?! Deswegen besetze ich klassische Texte mit mehr Darstellerinnen. In „der Geizige“ habe ich zum Beispiel eine männliche Rolle, die des Valère in eine weibliche Rolle Vali umgeschrieben. Vali ist in Èlise verliebt gewesen. Damit wollte ich aufzeigen, wie vielfältig, dass heutige Frauenbild sein muss. Auch „im Ausnahmezustand“ ist die Figur der Frau eine Hausfrau und es ist im Stück ein Problem, wenn der Mann seine Arbeit verliert. Natürlich ist diese Rollenzuschreibung immer noch weit verbreitet, aber so ein Frauenbild möchte ich ungern zeigen. Es muss mal Schluss sein mit Frauenklischees und das muss auch mal sichtbar werden und ich denke Theater ist ein guter Platz dafür. Deswegen haben wir die Figur der Frau in eine berufstätig Frau umgeschrieben und Maresa, die die Frau in dem Stück spielt, trägt auch keine Röcke mehr, weil ich es so peinlich finde, die Frauenrollen in Röcken oder Kleidern zu kostümieren. In meinen Ensemble habe ich auch mehr Darstellerinnen, dies ist aber eher Zufall.

Terz: Das Interesse Frauen wider den herrschenden Klischees darzustellen, also als Menschen, die starke Persönlichkeiten besitzen und genauso wie Männer, zur Arbeit gehen, gute Jobs haben und eigenes unabhängiges Leben führen. Ist das ein Thema, welches Dich selber im Männer dominierenden Regieberuf oft gegenübersteht?

Catherine: Natürlich, als ich an die Ernst Busch gekommen bin, waren nur drei Frauen in meiner Klasse. Und man muss sich in diesem Beruf permanent durchsetzten. Anfangs hatte ich das Gefühl, dass es nicht selbstverständlich ist, dass eine Frau Regie führt. Deshalb war meine erste Strategie eine autoritäre Spielweise, aber ich habe gemerkt, dass dies nicht meine Art ist. Das bin ich nicht, auch nicht als Mensch.

Terz: Gibt es an den Theatern eigentlich eine Frauenquote?

Catherine: Wenn man sich die Spielpläne von Theatern anschaut, die von Frauen geleitet werden, kann man deutlich einen höheren Frauenanteil im Spielplan erkennen, so wie es bei Karin Baier der Fall ist. Aber man braucht wirklich Leute, die sich engagieren und demonstrieren, dass es selbstverständlich wird.

Terz: Liebe Catherine vielen lieben Dank für das nette Gespräch und ich freue mich auf „Im Aufnahmezustand“, welches am 6. November um 19.30 Uhr seine Premiere in der Kapelle des Schloßtheaters Moers feiert. Karten gibt’s unter: http://www.schlosstheater-moers.de/?produktion=im-ausnahmezustand

Foto: Jakob Studnar| Patrick Dollas
Foto: Jakob Studnar| Patrick Dollas

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