Tagtraum im Verhältnis zum (Schlaf-)Traum – Unter Berücksichtigung des „funktionalen Phänomens“ von Herbert Silberer

Verzicht fällt dem Menschen schwer; er gibt Wünsche ungern auf. Wenn er es tun muß, sucht er, sich zu entschädigen – er schafft sich ein Doppelleben, eine zweite Existenz, in der Wünsche erfüllt werden, ohne daß die Realitätsprüfung einschreitet. Unser Wissen, dass das alles nicht wirklich ist, beeinträchtig die Lust nicht, sondern gibt ihr nur eine andere Qualität. (Schmidbauer, Wolfgang: Wenn der Tagtraum zur Sucht wird. )*1)

Der Tagtraum oder das Phantasieren sind Fähigkeiten des Individuums sich angenehmen Vorstellungen hinzugeben; falls Wünsche unerfüllbar scheinen oder im tatsächlichen Leben noch nicht erfüllt wurden.

Das Phantasieren erfolgt bewusst (willentlich) oder unbewusst, durch das Schwinden der Konzentrationsfähigkeit. Dabei wird die Umgebung weitgehend ausgeschaltet. Die Aufmerksamkeit des tagträumenden Individuums entfernt sich von den äußeren Reizen seiner Umwelt und richtet sich auf die innere Welt des Tagträumers. Eine vorübergehende geistige Abwesenheit tritt ein. Anders als im (Schlaf-)Traum ist der Tagtraum nicht bis zur Unkenntlichkeit verschlüsselt, sondern behandelt ganz offen die (unterdrückten) Wünsche.

Die Vorstellungen des Tagtraums können so intensiv imaginiert werden, dass ein Tagträumer meint, seine Phantasien mit den Sinnen wahrnehmen zu können, was den Tagträumen einen hohen Realitätsgehalt verleiht. Deswegen neigen manche Menschen dazu sich in ihren Tagträumen zu verlieren und träumen ganze Tagtraum-Romane2 Die Tagträumerei kann sich durch erlebte Frustrationen in der „realen Welt“ verstärken.

In Carl Gustav Jungs analytischer Philosophie bekommt der Tagtraum einen eskapistischen Charakter mit zwei unterschiedlichen Sichtweisen. Zum einen sei der Tagtraum schädlich, weil eine Flucht vor den Herausforderungen des Alltags und der zwischenmenschlichen Beziehungen stattfindet. Zum anderen kann aber der Eskapismus sinnvoll für die Realitätsbewältigung sein, in dem der Geist durch den Tagtraum der Langeweile oder selbstzerstörerischen Verhaltensweisen fernbleibt.

Traumtheorie von Sigmund Freud

Sigmund Freud setzt das Tagträumen mit der schöpferischen Tätigkeit eines Dichters gleich, was bedeutet: „Jedes spielende Kind benimmt sich wie ein Dichter, indem es sich eine eigene Welt schafft oder, richtiger gesagt, die Dinge seiner Welt in eine neue, ihm gefällige Ordnung versetzt. […] Er baut sich Luftschlösser, schafft das, was man Tagträume nennt.“3 Hinzu sind die Tagträumerei und die Dichtung nur ein Ersatz für das frühere kindliche Spielen mit der Phantasie (Luftschlösser). Dabei sind die treibenden Wünsche für das Phantasieren verschiedenen.

Die Tagträume von Erwachsenen unterscheiden sich von den Tagträumen eines Kindes, was an den verschiedenen Bedürfnissen liegen mag. Der Erwachsene gibt sich in seinen Tagträumen meist erotischen Phantasien oder Zukunftsplänen hin, während das Kind sich oft eine imaginäre Welt ohne (familiäre) Probleme mit zauberhaften Fabelwesen erträumt.

Gemeinhin ist die Häufigkeit der Wachträume am größten während der Pubertät und frühen Adoleszenz, also in einem Lebensalter, in dem man noch viel erwarten, aber wenig ausrichten kann. Natürlich umfassen Wachträume auch manches von dem, was man nicht tun darf. Insoweit sind sie ein Ventil für aggressive und abwegige sexuelle Wünsche.4 Anders als der Erwachsene schämt sich das Kind seiner Phantasien nicht und versucht sie deshalb nicht vor Anderen zu verstecken.

[…] der Erwachsene […] weiß einerseits, daß man von ihm erwartet, nicht mehr zu spielen oder zu phantasieren, sondern in der wirklichen Welt zu handeln, und […] seine Phantasien erzeugen Wünsche […] die es überhaupt zu verbergen nottut; darum schämt er sich seines Phantasierens als kindisch und als unerlaubt. (Freud, Sigmund: Der Dichter und das Phantasieren. Leipzig/Weimar: Gustav Kiepenhauer Verlag, 1985. )*5)

Freud fasst den Tagtraum, das Phantasieren oder das Bauen von Luftschlösser folgendermaßen zusammen:

Die Produkte dieser phantasierenden Tätigkeit, die einzelnen Phantasien, Luftschlösser oder Tagträume dürfen wir uns nicht als starr und unveränderlich vorstellen. Sie schmiegen sich vielmehr den wechselnden Lebenseindrücken an, verändern sich mit jeder Schwankung der Lebenslage, empfangen von jedem wirksamen neuen Eindrucke eine sogenannte >>Zeitmarke<<. Das Verhältnis der Phantasie zur Zeit ist überhaupt sehr bedeutsam. […] Die seelische Arbeit knüpft an einen aktuellen Eindruck, einen Anlaß in der Gegenwart an, der imstande war, einen der großen Wünsche der Person zu wecken, greift von da aus auf die Erinnerung eines früheren, meist infantilen Erlebnisses zurück, in dem jeder Wunsch erfüllt war, und schafft nun eine auf die Zukunft bezogene Situation, welche sich als die Erfüllung jenes Wunsches darstellt, eben den Tagtraum oder die Phantasie, die nur die Spuren ihrer Herkunft vom Anlasse und von der Erinnerung an sich trägt. (Ebd.)*6)

Freud sieht im permanenten Tagträumen beziehungsweise im Überwuchern von Phantasien eine negative Komponente und zwar den Verfall in eine Neurose oder Psychose, weil beim Tagtraum beziehungsweise Phantasieren die Triebverdrängung oder die notwendige libidinöse Objektbeziehung Erfüllung findet. Deswegen fügt er einen elementaren Unterschied zwischen den Tagträumer und den Dichter ein und zwar bereitet der Dichter durch das zur Schau stellen seiner Tagträume oder besser durch das Vorspielen seiner Phantasien dem Rezipienten Lust, was die „Ars poetica“ ausmacht.

In der heutigen neurologischen Forschung ließ sich vermehrt nachweisen, dass der Tagtraum die Kreativität anregt und das Gedächtnis stärkt. „Die Seele baumeln lassen hilft übrigens kreativ zu werden. Auch zur Regeneration des Gehirns und zur Stärkung des Gedächtnisses ist das Schweifen der Gedanken notwendig, wie Hirnforscher herausgefunden haben“7 Der Neurologe Marcus Raichle stellte in seiner Studie 1998 fest:

Bestimmte Regionen im Gehirn […] bei entspannten Tagträumen aktiviert [werden], die gleichen wie auch beim Schlafen und bei Patienten, die im Koma liegen. Bei zielgerichteten Denken waren diese Gehirnregionen dagegen weniger betriebsam. Er stellte fest, dass gerade in Situationen, in denen der äußere Anreiz fehlt, das Gehirn beginnt, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Dann sorgt es für Ordnung. Gelerntes wird verarbeitet und das Gedächtnis wird sortiert. (Beim Tagträumen wird das Gehirn neu formatiert. rga-Online – Remscheider General-Anzeiger (11.5.2012).)*8)

Mit den „Default Network“ (Netzwerk von Hirnarealen) denkt der Mensch im Tagtraum über seine Zukunft nach. Dieses Netzwerk ist auch aktiv, wenn der Mensch über sich selbst reflektiert oder sich kreativ beschäftigt. Behauptet eine Tagtraum-Studie von Jonathan Schooler, der Professor für Psychologie an der Universität Kalifornien (Santa Barbara) ist. Wahrscheinlich ist, dass der Mensch im Lauf der Evolution gelernt hat, dieses „Default Network“ sinnvoll einzusetzen. Wir denken damit über unsere Zukunft in einer Weise nach, wie keine andere Spezies. Das scheint auch eine wichtige Funktion des Tagträumers zu sein: Das Hier und Jetzt verlassen und vorausdenken.9

Der (Schlaf-)Traum ist wie der Tagtraum ein Schauplatz der Regression, wo die Traumvorstellungen den Objektcharakter von Illusionen und Halluzinationen aufweisen. Er ist die biologische Tendenz des Schlafes, welche für Erholung sorgt, in dem der Mensch sich von der Welt abwendet. Auch im Tagtraum wendet sich der Mensch kurzzeitig von der Welt ab, wobei es beim Tagtraum meist ein „bewusstes nicht teilnehmen wollen“ an der Welt ist, um seine unerfüllten Wünsche in Form von Phantasien auszuleben.

Im (Schlaf-)Traum unterliegen die unbewussten (unerfüllten) Wünsche beziehungsweise latenten Traumgedanken (versteckter, verdrängter Trieb) einer Traumzensur, sodass jeder (Schlaf-)Traum ein manifestes Element bekommt, welches sich im Trauminhalt (feste Bilder, Symbole) finden lässt. Das manifeste Element verweist immer auf den latenten Traumgedanken. So kann er ein Fragment oder eine Anspielung des latenten Gedankens sein, der bildlich oder durch ein festes Symbol dargestellt wird.

In der Traumdeutung von Sigmund Freud lassen sich aber auch unzensierte (Schlaf-)Träume finden und zwar (Schlaf-)Träume vom infantilen Typus. Dazu gehören „Entstellungsfreie-Träume“, die vor allem bei Kindern unter 5 Jahren zu finden sind, wo im (Schlaf-)Traum das Erlebnis des Vortages verarbeitet wird. „Ungedultsträume“, die beispielsweise auftreten, wenn der Träumende kurz vor einer Reise steht. Und schließlich „Bequemlichkeitsträume“, wo der Träumende im (Schlaf-)Traum aufsteht und zur Arbeit geht.

Nach Freund kann man den latenten Traumgedanken mittels Assoziation ins Wachen hervorholen, sprich den (Schlaf-)Traum entschlüsseln. Die assoziierten Symbole sind bei Freud meist sexueller Natur, wie beispielsweise Waffen oder hohe spitze Gegenstände, die ein männliches Glied darstellen sollen.

Um diesen Traumgedanken, der in den Bildern des Traumes verborgen liegt, zu entschlüsseln, bedient er sich der Technik der frei steigenden Assoziationen. Das heißt, er läßt den Träumer zu dem jeweiligen Traumbild frei steigende Einfälle sammeln. Diese führen, nach seiner Erfahrung, zur wahren Bedeutung des Bildes hin. Allerdings erfolgt diese Traumarbeit gegen einen Widerstand des Träumenden, denn der wahre Sinn des Bildes wurde deswegen verschlüsselt, weil er als ein verbotener Triebwunsch der Traumzensur zum Opfer fiel. 10

Tagtraum im Verhältnis zum (Schlaf-)Traum

Anders als der Tagtraum, welcher einer epischen Dichtung gleicht und dem Tagträumer seiner Phantasie alle Freiheiten lässt, um seine unterdrückten Triebe zu befriedigen, ist der (Schlaf-)Traum. Im (Schlaf-)Traum drängt das Unbewusste vorgegebenes Material zensiert in das Bewusstsein hervor, sprich der latente Traumgedanke wird verschlüsselt und entstellt im manifesten Traum wiedergegeben, sodass das Unbewusste (Triebverdrängung) ins Bewusstsein gebracht werden kann. Das heißt der Träumer kann seine (Schlaf-)Träume nicht bewusst phantasieren.11

Die Verschlüsselung des (Schlaf-)Traums (Traumarbeit) wird vom „Ich“ vorgenommen, ansonsten regiert aber das „Es“ im Traum. Eine besondere Eigenschaft des (Schlaf-)Traums ist, dass er sich nicht selbst negieren kann, weil er sich für die Wirklichkeit hält. Eine Negation existiert nur in doppelter Form im (Schlaf-)Traum. Beispielsweise wird ein Suizidant im (Schlaf-)Traum weiterleben, weil der (Schlaf-)Traum sich erhalten will oder der träumende Suizidant wird andernfalls aus dem (Schlaf-)Traum erwachen. Phantasiert ein Tagträumer seinen Suizid, dann wacht er nicht gleich aus seinem Tagtraum auf, sondern der tagträumende Suizidant nimmt eine Außenperspektive seines Selbst an, um die Menschen und die Welt nach seinem Suizid zu betrachten. Der Tagtraum hält sich nicht, wie der Traum für die Wirklichkeit, sondern der Tagtraum negiert bewusst die Wirklichkeit. Denn der Tagträumer sucht den Tagtraum auf, um vor der Wirklichkeit zu fliehen beziehungsweise um sich im Wachzustand Lust zu bereiten.

Kurz zu erwähnen ist der Albtraum, der eine Disfunktion des (Schlaf-)Traums darstellt, dort kommt Verdrängtes nicht genügend zensiert zum Vorschein. Beim Albtraum ist zu viel aus dem „Es“ herausgekommen, was nicht verstellt werden konnte, das heißt die Traumarbeit ist misslungen.

Um den (Schlaf-)Traum entschlüsseln zu können, bedarf es der Kenntnis der Traumarbeit, die aus den Momenten, Verdichtung, Verschiebung, Rücksicht auf Darstellbarkeit und der Sekundärbearbeitung besteht. Die Verdichtung sorgt dafür, dass der latente Trauminhalt zum manifesten Trauminhalt zusammengerafft wird, sodass der (Schlaf-)Traum entsprechend verarbeitet und erinnert werden kann. Weiter sorgt die Verdichtung für die Erhaltung des (Schlaf-)Traums, indem sie beispielsweise Negationen aufhebt.

Das Werk der Traumzensur ist die Verschiebung, wo latente Elemente durch manifeste Elemente ersetzt werden. Dadurch erscheinen wichtige latente Elemente, unwichtig und sinnlos.12 Im dritten Moment der Traumarbeit findet ein Rückgriff auf Darstellbarkeit statt. Da Gedanken und Geräusche im manifesten Trauminhalt vorkommen können, werden diese visualisiert, sodass sie in bildlicher Form dargestellt werden können. Die Anzahl der Szenen im (Schlaf-)Traum können ein Hinweis auf die Anzahl der Kerngedanken des latenten Trauminhalts sein.

Ferner können gegensätzliche Gegenstände im (Schlaf-)Traum zu einem einzelnen Symbol verschmelzen, wie Wörter, die gegensätzliche Bedeutungen in sich tragen, muss dieses Symbol dann aus dem Kontext erschlossen werden. Das letzte Moment der Traumarbeit ist die sekundäre Bearbeitung, welche aus der geleisteten Arbeit einen Sinnzusammenhang herstellen soll. Das Moment der Sekundärbearbeitung ist Freuds Traumdeutung eigen. Sie versucht den (Schlaf-)Traum mittels Assoziationen zu entschlüsseln, dabei untersucht Freud zumeist die „sexuellen-familiären-Beziehungen“ des Träumenden. Freud arbeitet mit der Sekundärbearbeitung, weil er meint mit ihr die Natur an sich, durch sich zur Erscheinung zu bringen.

Herbert Silberer und sein „funktionalen Phänomen“

Ein anderes Modell legt die Traumdeutung von Herbert Silberer mit seinem „funktionalen Phänomen“ vor, welches Freuds Sekundärbearbeitung verwirft und auf die Autosymbolik zurückgreift. Dabei muss erwähnt werden, dass die Theorie keinen Anspruch auf ein Lexikon der Traumsymbole erhebt. Im Gegensatz zu Freud achtet Silberer die Bedingungen des (Schlaf-)Traums. Freud hatte die Trauminhalte analysiert, an Hand dessen interpretiert und festgestellt, dass eine Zensur vorhanden sein muss.

Das „funktionale Phänomen“ von Silberer stellt den (Schlaf-)Traum als Traum selber dar, sprich in seiner ganzen Traumarbeit, sodass seine Traumtheorie an Objektivität gewinnt und wissenschaftlichen Ansprüchen genügen kann. Silberer hatte in seinen Selbstversuchen festgestellt, dass der (Schlaf-)Traum Gedanken in Bilder umwandelt und unterschied. Darauf hin hat er drei verschiedene Phänomene abgeleitet, „materiales Phänomen“, „somatisches Phänomen“ und schließlich das „funktionale Phänomen“. Das „materiale Phänomen“ (Inhaltsphänomen) beschäftigt sich mit den Inhalten. Beispielsweise ein Flugzeug, das umherkreist, weil der Träumende nicht weiß, wohin er vereisen soll.

[…] nenne ich diejenige Erscheinungen, welche in der autosymbolischen Darstellung von Gedankeninhalten bestehen, d.h. Von Inhalten, welche in einem Gedankenverlauf bearbeitet werden, seien sie nun bloße Vorstellungen oder Vorstellungsgruppen, Begriffe, die etwa zu Begriffsvergleichungen und zu Definitionsvorgängen herangezogen werden oder aber Urteile, Schlußfolgerungen, die analytischer oder synthetischen Operationen dienen usf. (Silberer, Herbert: Bericht über eine Methode, gewisse symbolische Halluzination-Erscheinungen hervorzurufen und zu beobachten.)*13)

Im „somatischen Phänomen“ wird unter anderem die Negation aufgehoben. Beispiel: Der Träumende sieht im (Schlaf-)Traum ein abstürzendes Flugzeug und wird vom Summen einer Mücke wach.

[…] diejenigen autosymbolischen Phänomene, in welchen sich somatische Zustände oder Vorgänge welcher Natur immer widerspiegeln: sowohl äußere als „innere“ Empfindungen […] und äußere Schmerzempfindungen, alle Arten von Gemeinempfindungen, optische, akustische, chemische und mechanische Eindrücke und Nervenreize, Schmerzempfindungen in den inneren Organen usw., sowie auch die Gefühle, welche mit all diesen Empfindungen, Empfindungskomplexen als solchen oder mit ihrem Verlauf verbunden sind […] Herzklopfen, Knistergeräusch […] (Ebd. )*14)

Das „funktionale Phänomen“ (Leistungsphänomen/ Memorialität) beschäftigt sich mit dem Bewusstseinszustand beziehungsweise Gedankenmaterial. Bei der Deutung eines Traumsymbols können alle Phänomene gleichzeitig auftreten.

Silberers Traumtheorie kann seine drei Definitionen nicht aufrechterhalten. Das „materiale Phänomen“ und das „somatische Phänomen“ münden im „funktionalen Phänomen“, weil das „funktionale Phänomen“ sich auf die Traumarbeit als Traum selber bezieht und mit der Funktion seines Gedächtnisses auf den Trauminhalt zugreift. Das heißt der Traum „[…] begreift sich als ein Selbstbezug des Bewusstseins im Sinne eines in sich reflektierten Selbstbewusstseins […].“15

[…] [Das funktionale Phänomen] ist .diejenige autosymbolische Erscheinung, durch welche der Zustand oder die Leistungsfähigkeit des Bewußtseins des Nachdenkenden selbst abgebildet wird. Sie heißen funktional, weil sie mit dem Material der Denkakte, den Inhalten, nichts zu schaffen haben, sondern bloß auf die Art und Weise Bezug haben, in welcher das Bewußtsein funktioniert […] (Silberer, Herbert: Bericht über eine Methode, gewisse symbolische Halluzination-Erscheinungen hervorzurufen und zu beobachten.)*16)

Konklusion

Im (Schlaf-)Traum begegnet sich das Gedächtnis selbst und der Träumende verabschiedet sich von der Außenwelt und tretet in den Bereich seiner Innenwelt ein. Die subjektive Innenwelt ist vermischt mit Anteilen der objektiven Ebene. Auch der Tagträumer verabschiedet sich im Wachzustand von der Außenwelt und wendet sich seiner Innenwelt zu, indem er anfängt zu phantasieren. Dadurch sorgen (Schlaf-)Traum und Tagtraum für eine geistige Erholungsphase. In diesen Erholungsphasen wendet sich der Träumende in beiden Traumarten dem Unbewussten beziehungsweise dem latenten Traumgedanken zu. Sie unterschieden sich aber in ihren Zugängen.

Der Tagtraum negiert die Wirklichkeit und nähert sich mittels Phantasie dem Reich des Unbewussten, um sich mit seinem latenten Traumgedanken zu befassen. Während der (Schlaf-)Traum sich dem Unbewussten nur zuwenden kann, in dem der Träumende sich dem Schlaf hingibt. Das Unbewusstsein des Träumers konstruiert sich im Schlaf seine eigene Wirklichkeit, weswegen im (Schlaf-)Traum keine Negation herrscht. Der Traum dient der Lusterfüllung, die nur gegeben sein kann, wenn der (Schlaf-)Traum nicht endet und der Tagtraum nicht real wird.

Anders als der (Schlaf-)Traum ist der Tagtraum nicht zensiert und ermöglicht so, dem Tagträumer eine unzensierte Einsicht in sein Gedächtnis, weil der Tagträumer weiß, dass seine Phantasien nicht real sind, beziehungsweise eine bewusste Negation der Wirklichkeit sind. Folglich muss der (Schlaf-)Traum nicht wie der Tagtraum entschlüsselt werden. Der (Schlaf-)Traum geht von seiner realen Existenz zur Lusterfüllung aus und sorgt bei einer nicht genügend verschlüsselten Halluzination für Albträume, weil zu viel aus dem „Es“ zum Vorschein gekommen ist.

So unterscheiden sich (Schlaf-)Traum und Tagtraum in ihren ontologischen Prämissen und ihren Zugangsweisen zum latenten Traumgedanken. Der (Schlaf-)Traum postuliert seine eigene Wirklichkeit und verkörpert diese Wirklichkeit dem Träumer mittels Halluzinationen. Er verschafft dem Träumer Zugang zu seinen latenten Traumgedanken, indem er ihn in einen manifesten Traumgedanken zensiert wiedergibt. Das „Ich“ kann den (Schlaf-)Traum nicht kontrollieren, nur zensieren. Die ontologische Prämisse des Tagtraums ist die Negation der Wirklichkeit und der Tagträumer bekommt einen unverschlüsselten Zugang zum latenten Traumgedanken mittels Phantasie. Da das „Ich“ den Tagtraum kontrolliert, hat der Tagträumer nur einen eingeschränkten Zugang zum „Es“.

Demnach ist eine Traumdeutung im Sinne Silberers „funktionalen Phänomens“ auf den Tagtraum nicht möglich; beziehungsweise seine Theorie bedarf keiner Notwenigkeit, weil der Tagträumer bewusst phantasiert, die Wirklichkeit negiert, um seine (unerfüllten) Wünsche zu befriedigen oder sich seinem Innenleben zu nähern.

Eine interessante Untersuchung wäre Silberers „funktionales Phänomen“ auf den Luziden Traum (Klartraum), weil der Luzide Traum im Schlafzustand stattfindet, aber die Eigenschaften eines Tagtraums aufweist und zwar handelt das „Ich“ bewusst beziehungsweise frei im (Schlaf-)Traum, sprich das „Ich“ kann den (Schlaf-)Traum kontollieren.

Quernachweise

1 Schmidbauer, Wolfgang: Wenn der Tagtraum zur Sucht wird. http://www.wolfgang-schmidbauer.de/wenn-der-tagtraum-zur-sucht-wird-741/ (10.7.2013). S.1.

2 Ein und derselbe Tagtraum wird in geringen Abänderungen oder in verschiedenen Variationen immer wieder geträumt. Beziehungsweise der Tagtraum bekommt Seriencharakter; Fortsetzung folgt auf Fortsetzung.

3 Freud, Sigmund: Der Dichter und das Phantasieren. In: Der Witz und seine Beziehungen zum Unbewußten. Leipzig/Weimar: Gustav Kiepenhauer Verlag, 1985. S.295ff.

4 Tagtraum: http://www.psychology48.com/deu/d/tagtraeume/tagtraeume.htm (10.7.2013).

5 Freud, Sigmund: Der Dichter und das Phantasieren. Leipzig/Weimar: Gustav Kiepenhauer Verlag, 1985. S.297.

6 Ebd. S.298f.

7 Beim Tagträumen wird das Gehirn neu formatiert. rga-Online – Remscheider General-Anzeiger (11.5.2012). http://www.rga-online.de/rga_108_110034196-2-_Beim-Tagtraeumen-wird-das-Gehirn-neu-formatiert.html (10.7.2013).

8 Ebd.

9 Bengsch, Danielle: Tagträume spornen die Kreativität an. Die Welt (14.1.2012). http://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article13813193/Tagtraeume-spornen-die-Kreativitaet-an.html (10.7.2013).

10 Schmidt, Rainer: Träume und Tagträume – Eine individualpsychologische Analyse. Stuttgart/ Berlin/ Köln/ Mainz: Kohlhammer, 1980. S.42.

11 Ein besonderes Phänomen des (Schlaf-)Traums, wo der Träumer im Traum frei handeln kann, ist das Luzide Träumen, welches hier nicht behandelt wird.

12 Die Verschiebung lässt sich nach Freud auch bei Witzen feststellen.

13 Silberer, Herbert: Bericht über eine Methode, gewisse symbolische Halluzination-Erscheinungen hervorzurufen und zu beobachten. In: Jahrbuch der psychoanalytische und psychopathologische Forschungen. S.515f.

14 Ebd. S.518.

15 Weismüller, Christoph: Zur Kritik der psychoanalytischen Traumtheorie (Freud, Jung, Adler). Auszug aus dem Vortrag zur internationalen interdisziplinären Tagung zum Zentenarium der Traumdeutung Freuds 19. – 20. 1999; publizierter Gesamtvortrag: Via regia auf Abwegen? Zur Kritik der psychoanalytischen Traumtheorie, in: R. Heinz, W. Tress (Hg.), Traumdeutung. Zur Aktualität der Freud’schen Traumtheorie, Wien: Passagen 2001, S.73 – 86. S.3.

16 Silberer, Herbert: Bericht über eine Methode, gewisse symbolische Halluzination-Erscheinungen hervorzurufen und zu beobachten. S.517.

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