Idioten an der Macht

Der Streitraum von der Philosophin Carolin Emcke geht in die neue Spielzeit und fragt dieses Mal nach der Aktualität des strukturellen Phänomens >>Wissen und Macht<<.

Das strukturelle Paar Wissen und Macht, welches lange Zeit unser Gesellschaftssystem durchzogen hat, scheint sich durch einen Anti-Intellektualismus aufzulösen und an die Stelle von Wissen tritt nun Unwissen. So lassen sich unter anderen populistische Bewegungen erklären, in denen nicht nur der Kanon von Wissen und Aufklärung in Frage gestellt wird, sondern ein systemischer Angriff auf Institutionen der Wissensvermittlungen erfolgt. Die Autorin und Philosophin Carolin Emcke, die u.a. 2016 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde, möchte diesen strukturellen Wandel in ihrer Berliner Schaubühnen Diskursreihe >>Streitraum<< auf den Grund gehen. Für den Eröffnungsdiskus am 8.10.2017 hat sie sich das Leitmotiv >>Wissen und Macht<< vorgenommen und die Gäste Bethany Wiggin (Professorin für Environmental Humanities und Mitbegründerin des Projekts DataRefuge) und Ulf Buermeyer (Vorsitzender der Gesellschaft für Freiheitsrechte) eingeladen.

Mit dem Amtsantritt von Donald Trump als US-Präsidenten wurde nun endgültig ein Zeitalter der Idiotie eingeläutet. Denn nur einige Sekunden nachdem Trumps Wahlsieg deutlich wurde, verschwanden auf der Webseite des weißen Hauses die Kategorien Klimapolitik und die Rechte von Homosexuellen. Wurden diese Seiten gelöscht? Nein, sie wurden nur soweit nach hinten verschoben, dass dieses Wissen nur über Umstände zu erreichen ist. Wiggin räumt jeder neu gewählten Regierung das Recht ein ihre Webseite nach ihrer Prioritätsordnung umzugestalten, problematisch wird es, wenn der >>freedom of regress<< und demokratische Strukturen, wie Informationsfreiheit bedroht sind. Beispielsweise kündigte die Umweltbehörde EPA (United States Environmental Protection Agency) auf ihrer Webseite an, dass ihre Seite nicht mehr aktualisiert werde und vieles an Material nur noch im Archiv aufzufinden sei. So wird bestimmtes Wissen denunziert und kriminalisiert, weil es sich gegen eine herrschende Ideologie ausspricht. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden diskreditiert, gefälscht und gelöscht. Zum Beispiel hat Donald Trump auf einer Webseite, die Daten über die Orkane in Puerto Rico sammelt, seiner nicht vorhandenen Klimapolitik angepasst. Aus den 5%, die noch Strom nach den Sturmböen hatten, wurden 12%. Einige Daten, wie viele beispielsweise mit Trinkwasser versorgt sind, wurden ganz gelöscht. Wenn der Staat und seine Lobby entscheiden dürfen, welches Wissen für die Bevölkerung zugänglich sein darf und kein offener Diskus ohne Kriminalisierung geführt werden kann, befinden wir uns in einer Verschiebung von Macht, die die Auflösung von demokratischen Strukturen zur Folge hat. Aber nicht nur Donald Trump, sondern auch in Deutschland werden Daten nach ideologischer Ausrichtung gelöscht, gefälscht und denunziert. Buermeyer erzählt von den im März erschienenen Armutsbericht, der vor der Veröffentlichung erst einmal redigiert wurde, sodass einige >>staats- und lobbyfeindlichen Interpretationen<< ausgeschlossen werden konnten. Es wurden Stellen aus den Bericht gestrichen, aber keine Daten gefälscht. >>Wofür wir schon dankbar sind.<<, ergänzte Emcke sarkastisch. Alternative Fakten, Unwissen oder Fake News werden moderne Formen des Wissen. Ein weiterer Aspekt den Emcke mit ihren Diskurspartnern hinterfragt, ist das Wissen in Schulbüchern? Beispielsweise finden Regenbogenfamilien und Homosexualität in Baden-Württemberg keinen Platz in den Büchern und in den USA wird die Evolutionstheorie gestrichen, weil sie nicht ins texanische Weltbild passt und Texas aufgrund seiner Landesgröße bestimmt, was in Schulbüchern aufgenommen wird. Was können wir tun?, Buermeyer sagt, dass ein Weg die strategische Prozessführung ist, in der wir unsere Freiheitsräume wiedergewinnen, in dem wir schauen, welche Gesetze das Grundgesetz verletzen. Mit Freunden hat er 2014 die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) ins Leben gerufen, die sich dieser Sache annimmt und sich beispielsweise für Informationsfreiheit einsetzt, falls die Regierung versucht eine Transparenz zu verhindern, die gegen das Grundgesetz verstößt. Die GFF konzentriert sich auf Einzelfälle, die längerfristig das Grundgesetz angreifen. Bisher haben sie 22 000 Anfragen erhalten. Eine andere Initiative Frag den Staat (https://fragdenstaat.de/) ermöglicht jeden unproblematisch das Informationsfreiheitsgesetz in Anspruch zu nehmen, um den Komplex Staat (und seine Lobby) transparenter zu machen.

Emckes >>Streitraum<< feierte eine informative, unterhaltsame und spannende Eröffnung, unter anderem weil sie sehr konkret Problemfelder anspricht, ihre Gäste uneingeschränkt –aber gut moderat moderiert– zu Wort kommen lässt, sodass ein gemeinsamer und offener Diskurs entsteht. Im kommenden >>Streitraum<< am Sonntag, den 12.11.2017 wird das Themenpaar >>Armut und Gesundheit<<, unter anderen mit den Gästen Marion Lieser (Geschäftsführerin Oxfam) und Andreas Heinz (Direktor Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité) diskutiert.

>>STREITRAUM: WISSEN UND MACHT<<| Schaubühne Berlin| Jeweils ein Mal im Monat. Nächster Termin Sonntag, den 12.11.2017 mit dem Thema >>Armut und Gesundheit<< um 12 Uhr| Karten unter: ticket@schaubuehne.de oder 030/ 890023. Weitere Termine: http://www.schaubuehne.de/de/seiten/streitraum-aktuell.html

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